Wie könnten die deutschen Überschüsse abgebaut werden?

Höhere Wettbewerbsfähigkeit anderer Länder

Da die Import- und Exportnachfragen die jeweiligen Präferenzen der beteiligten Wirtschaftssubjekte ausdrücken, können die deutschen Außenhandelsüberschüsse nur abgebaut werden, wenn sich deutsche Waren hinsichtlich des Preis-Leistungs-Verhältnisses verschlechtern und/oder andere Länder den deutschen Produkten den Rang ablaufen. Eine gesteigerte Binnendynamik innerhalb Deutschlands könnte diesen Anpassungsprozess über eine Aufwertung des realen Wechselkurses unterstützen und zugleich zusätzlichen Menschen in Deutschland eine Arbeit bieten.

Internationale Handelsungleichgewichte sind in der Geschichte der Weltwirtschaft nichts Neues. Spätestens seit John Maynard Keynes´ Arbeit zu den ökonomischen Konsequenzen des Versailler Vertrages wissen wir auch, dass beständige Handelsungleichgewichte zu folgeschweren Verwerfungen auf dem Weltmarkt führen können. Da die Anpassungsmaßnahmen zur Behebung der Handelsungleichgewichte nämlich stets den Defizitländern aufgebrummt werden, droht der Weltwirtschaft durch die Deflation eben dieser „Schuldnerländer“ eine konjunkturelle Flaute. Damit dies nicht passiert, kommt den Überschussländern ebenfalls eine entscheidende Verantwortung zu – auch höhere Wettbewerbsfähigkeit verpflichtet!

 

Verteilungspolitik und Lohnsteigerungen

Wie wir bereits geschildert haben, hängt die Höhe des Außenhandelsüberschusses auch mit der Entwicklung der Löhne zusammen. Hinter dieser Aussage steckt folgende Logik: Eine fortwährend steigende Arbeitsproduktivität bedeutet, dass von Jahr zu Jahr die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung pro Arbeiternehmer steigt. Diese jährliche Steigerung der Wertschöpfung muss daher zwischen den an ihr beteiligten Wirtschaftsakteuren aufgeteilt werden. Vernachlässigen wir einmal die Finanzierung des Staates, kann diese Zunahme des BIP grundsätzlich auf drei Arten verteilt werden.

1) Sie fällt zu 100% dem Arbeitnehmer zu.

2) Sie fällt zu 100% dem Unternehmen zu.

3) Es wird zwischen Arbeitnehmern und Unternehmern ausgehandelt, wieviel welcher Partei zusteht.

Bei Lohnverhandlungen geht es genau um letzteren Punkt. Dabei wird auch verhandelt, wieviel die jeweilige Seite zur Steigerung der Arbeitsproduktivität beigetragen hat bzw. darum, zwischen den Ansprüchen beider Seiten zu vermitteln. Selbstverständlich wird im Falle einer positiven Inflationsrate auch über die Kompensation des Kaufkraftverlustes verhandelt.

Inwiefern Lohnsteigerungen zur Zu- oder Abnahme eines Außenhandelsüberschusses beitragen, hängt davon ab, ob und wieviel des Lohnzuwachses der Arbeitnehmer für Konsum- bzw. Investitionsgüter ausgegeben wird und welcher Anteil dieser zusätzlichen Ausgaben auf Importgüter entfällt. Auch eine aktivere Verteilungspolitik zu Gunsten der unteren Einkommensgruppen müsste sich im Hinblick auf ihre Bedeutung für den Außenhandel an der Frage messen lassen, inwiefern diese zur Steigerung der Binnendynamik beitragen würde.

Auf den ersten Blick lässt sich in den Daten durchaus ein Zusammenhang zwischen den Lohnkosten, also der Größe, die Unternehmen für die Entlohnung der Arbeitnehmer ausgeben, und dem Verlauf des Leistungsbilanzsaldos finden. So suggeriert eine kürzlich erschienene Studie der KfW, dass Jahre der starken Lohnzurückhaltung (vor allem die Jahre 2000 – 2008 und 2013 – 2017) auch mit einer deutlichen Zunahme des Leistungsbilanzüberschusses einhergehen. Die Vermutung liegt also nahe, dass die Steigerung der Wertschöpfung, die nicht den Arbeitnehmern zu Gute kam, zur Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse beigetragen hat. („Lohnzurückhaltung“ meint dabei eine Lohnentwicklung, die hinter der Steigerung des Preisniveaus und dem Zuwachs der Arbeitsproduktivität Schritt zurückbleibt).

Jedoch erfahren wir durch diese rein deskriptive Betrachtung nicht, welche Wirkungszusammenhänge hinter der Zunahme des Leistungsbilanzüberschusses stecken und ob und inwiefern höhere Löhne auch praktisch dazu beitragen können, die Überschüsse abzubauen.

Zunächst ist es nicht unplausibel, dass es durch höhere Löhne zu einer Stärkung der Importe kommen dürfte – schließlich führt ein Anstieg des Lohnniveaus zu einer gesteigerten inländischen Nachfrage, die sich auch bei den Importmengen und eventuell sogar den Importpreisen bemerkbar machen dürfte. Auf den zweiten Blick gibt es jedoch auch an dieser Stelle eine Komplikation: Export- und Importmengen sind nicht voneinander unabhängig. Im Zuge einer intensivierten weltwirtschaftlichen Verflechtung basiert die Produktion von Exportgütern zunehmend auf der Einfuhr von importierten Zwischengütern. Gehen also die Exportmengen aufgrund von Preissteigerungen zurück, sinkt zugleich die Nachfrage nach importierten Vorprodukten. Dies dämpft den Anstieg der Importmengen und reduziert damit den ausgleichenden Effekt höherer Lohn- und Preissteigerungen.

So würden laut Berechnungen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) kräftige Lohnsteigerungen zwar theoretisch über eine gesteigerte Binnennachfrage zu höheren Preisen und damit zu reduzierten Export- und erhöhten Importmengen führen, den Überschuss also reduzieren. Allerdings könnten Lohnerhöhungen auch zu einer Steigerung der Exportpreise führen, was für sich genommen nominell die Differenz zwischen Exporten und Importen wieder anschwellen lassen würde.

Ob der Gesamteffekt der Preissteigerung auf den nominalen Wert der Exporte positiv oder negativ ist, hängt somit von der Preiselastizität der Exportnachfrage ab. Diese gibt an, wie stark die ausgeführten Mengen auf eine Veränderung der Ausfuhrpreise reagieren. Wenn die Preiselastizität, was die Regel ist, kleiner als Eins ist, steigt der Wert der Exporte, wenn die Preise steigen. Wiewohl die Nachfrage nach Exportprodukten und somit die Exportmengen bei einer Preiselastizität kleiner eins zurückgehen, fällt ihr Rückgang allerdings schwächer aus als der Preisanstieg. Mithin erfolgt über die Exportseite daher überhaupt kein Beitrag zur Reduzierung des Leistungsbilanzsaldos – im Gegenteil: der wertmäßige Exportüberschuss erhöht sich sogar noch.

Es ist folglich nicht eindeutig zu beantworten, in welchem Wirkungszusammenhang Lohnpolitik und Handelsbilanz stehen und in der Tat zeigen die ökonometrischen Ergebnisse des IMK keinen deutlichen Zusammenhang zwischen einer expansiven Lohnentwicklung und dem Außenhandelsüberschuss in Deutschland.

Im Prinzip lässt sich die vorangegangene Lohn-Argumentation auch auf die Verteilungs- und Steuerpolitik übertragen – schließlich hätte beispielsweise eine geringe Abgabenlast für Gering- und Mittelverdiener eine ähnliche Wirkung wie Lohnsteigerungen. Auch könnte die Verteilungspolitik beispielsweise durch höhere Spitzensteuersätze und eine geringe Abgabenlast bei Geringverdienern die in den letzten zwei Jahrzehnten erfolgte Gewichtsverschiebung von Arbeit zu Kapital korrigieren.

 

(Europäische) Fiskalpolitik & Investitionen

Die alleinige Konzentration auf das Außenhandelsungleichgewicht verstellt allerdings den Blick auf die grundlegende Problematik einer unausgeglichenen Leistungs- bzw. Kapitalbilanz: das strukturelle Ungleichgewicht zwischen Sparen und Investieren. Und hier bietet sich sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene jede Menge Handlungsspielraum für wirtschaftspolitische Korrekturmaßnahmen.

Dies wird deutlich, wenn man die Veränderung des Außenhandelsüberschusses im Zusammenhang mit der Veränderung der Fiskalpolitik anschaut, wie es etwa die KfW kürzlich getan hat. Jahre, in denen das strukturelle Defizit stärker ab- bzw. der strukturelle Überschuss stärker zugenommen hat, fallen auch mit einem höheren Außenhandelsüberschuss zusammen. Natürlich sollte man dies nicht überinterpretieren, schließlich sagt diese Korrelation von strukturellem Defizit und strukturellem Überschuss nichts darüber aus, ob diesem Zusammenhang auch eine Kausalität zugrunde liegt. Tendenziell schwächt sich durch die zurückhaltende Fiskalpolitik auch die Nachfrage nach Importen ab, wodurch sich wiederum der Überschuss tendenziell erhöht. Dem könnte man fiskalpolitisch entgegenwirken.

So könnte eine gezielte Investitionsinitiative in Deutschland z.B. marode Schulgebäude wieder auf Vordermann bringen und mehr Menschen, vor allem aus einkommensschwächeren Schichten, Zugang zu höherer Bildung bieten. So schließen etwa 31% der jungen Menschen (Stand 2014) in Deutschland einen akademischen Bildungsgrad ab, während es im OECD Durchschnitt 38% sind. Neben ihrem Beitrag zur Chancengleichheit in Deutschland könnten gezielte Investitionen in Bildung und Infrastruktur (Stichwort künstliche Intelligenz, Robotisierung, Breitbandausbau etc.) zudem zur Steigerung der Arbeitsproduktivität beitragen. Dies wäre dringend notwendig, da die Faktorproduktivität vor allem in den entwickelten Volkswirtschaften seit den 1970er Jahren stetig abgenommen hat.

Ähnliche Vorteile hätten koordinierte Investitionen in Bildung und Infrastruktur auf gesamteuropäischer Ebene. Hinzu käme, dass gezielte gesamteuropäische Investitionen einen wichtigen Beitrag zur Synchronisierung der Konjunkturzyklen innerhalb der Eurozone leisten könnten und somit zur Stabilisierung der Währungsunion beitragen würden. Abgestimmte Konjunkturzyklen würden zudem die EZB dabei unterstützen, ihr Mandat einer adäquaten Geldpolitik für alle Mitgliedsländer der Währungsunion zu erfüllen.

Dabei kann es auch durchaus Sinn machen, dass die deutsche Volkswirtschaft vorrübergehend überhitzt. Damit eine Währungsunion im Interesse aller Mitgliedsländer funktioniert, müssen generell drei Bedingungen erfüllt werden: Die Freiheit von Güter-, Kapital- und Arbeitsströmen muss gewährleistet werden. Die Konjunkturzyklen der einzelnen Länder sollten synchronisiert verlaufen, damit die EZB eine für alle Mitgliedsländer adäquate Geldpolitik verfolgen kann. Vor allem die Abwesenheit eines funktionierenden Ausgleichsmechanismus in der Eurozone hat das Problem der Außenhandelsungleichgewichte verschärft. Eine gezielte Fiskalpolitik auf gesamteuropäischer Ebene könnte asynchrone Kapitalströme ausgleichen und das Problem divergierender Konjunkturzyklen in Angriff nehmen.